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08
November
Der Trip aufs Land
Viele Filme beginnen so: Quietschend schließen sich die Bustüren, mit lautem Röhren fährt der Bus an. In der Staubwolke bleibt der Held der Geschichte alleine zurück. Mitten in der Pampa. Im Nichts. Nur mit ein wenig Gepäck, in the Middle of No where.
„Morgen früh um zehn nach sechs geht’s zurück!“ hatte uns der Busfahrer noch zugerufen. Und nun standen wir also da. Karla und Martin aus Deutschland, Chris aus Thailand und ich. Meine Gastmutter hatte von einer Art Feriendorf gesprochen, mit vielen Restaurants und Hotels, am Fuße eines großen Naturreservates „Bing yu gou“, was in etwa so viel bedeutet wie „Eistal“. „Klein Guilin“ wird die Gegend dort auch genannt. Und nachdem Guilin sowieso das schönste überhaupt auf Erden sein soll, wollten wir uns zumindest „klein Guilin“ ansehen. Nur wo? Eine Weggabelung, eine kleiner Imbissstand und ein paar Häuser, mehr war nicht zu sehen. Doch wie so oft in China wurde uns der Weg gezeigt, ohne dass wir überhaupt danach hätten fragen müssen. „Und heute abend kommt ihr zu mir zum übernachten!“ Die alte Frau redete unentwegt auf uns ein. Das sei viel billiger als dort im Reservat. Nur zehn Yuan pro Person. In dem kleinen Haus dort. Ja, das mit den blauen Fensterstöcken. Ich befürchtete schon, dass uns noch viele solcher hartnäckiger Vermieterinnen für ihre Unterkunft werben würden. Aber dem war nicht so. Die Gästehäuser und Restaurants am Eingang des Naturreservats waren alle geschlossen, sogar das Toilettenhäuschen war mit einem dicken Schloss verriegelt. Ein großer Parkplatz erzählte von zahlreichen Besuchern, allerdings zu einer anderen Zeit. Jetzt war es leer hier, fast gespenstisch. Außer uns Langnasen und einigen Angestellten schien sich sonst um diese Jahreszeit kaum jemand mehr hier her zu wagen. Glücklicherweise ignorierte außer uns auch das Wetter das Ende der Touristen Saison: Der Himmel war strahlend blau, es war windstill und für Ende Oktober außergewöhnlich warm. Der Tag war im Naturreservat war herrlich: Wandern, Boot fahren, Stille und Natur genießen. So menschenleer, so still. Ganz anders als das China, das ich bisher kennen gelernt habe. Gespannt wie eine Unterkunft für 10 Yuan pro Nacht wohl aussehen würde, gingen wir abends dann zurück zum kleinen Haus mit den blauen Fensterstöcken. Es war ein kleiner Bauernhof, mit Hühnern, Schwein und Pferd im Innenhof, in dem Haus mit einigen Gästezimmern für die Touristensaison lebten drei Generationen zusammen. Die alte Frau hatte schon auf uns gewartet und zeigte uns jetzt stolz das Zimmer, „mit Fernseher!“ Was uns dagegen viel mehr begeistert hat, war das Bett: wir durften diese Nacht auf einem „Kang“ schlafen. Das ist ein niedriges, gemauertes Bett, auf dem mehrere Leute gleichzeitig schlafen können und das von der Seite mit einem kleinen Holzofen beheizt wird. Eine herrliche Erfindung für kalte Winternächte! Doch ehe wir uns auf dem heißen Stein braten lassen konnten galt es erst einmal unseren Hunger zu stillen. Ich fragte die alte Frau was wir essen könnten und sie führte mich zum Hühnerstall. „Für 100 Yuan mach ich euch den da.“ Sie deutete auf den Hahn. Etwas verblüfft ob der pragmatischen Antwort konnte ich mir gerade noch verkneifen zu fragen, was denn der Hund, der daneben angekettet war, kosten würde. Pech für den Hahn, wir hatten wirklich Hunger! Er wurde geschlachtet, gerupft, in Stücke gehackt und (inklusive Kopf, Füße, Innereien) mit Kartoffeln, Pilzen und Ingwer gekocht – wir hatten in kürzester Zeit ein leckeres Abendessen. Am nächsten Morgen bereuten wir nur, dass wir nicht zwei Hähne gegessen hatten: ab drei Uhr befand der zweite Hahn die Nacht für beendet. Landleben eben. Früh aufstehen mussten wir ja ohnehin, um morgens um sechs den Bus zurück in die Stadt zu nehmen. Zurück in das andere China, das mit den Hühnchen von KFC.
03
November
Die Sauberkeit
Nachdem ich über das Rotzen und die Gerüche geschrieben habe, darf dieses Puzzleteil nicht fehlen: Die Sauberkeit in unserer Wohnung.
Die Schwelle vom Treppenhaus in die Wohnung führt in eine andere Welt, die man auf keinen Fall mit denselben Schuhen betreten darf. Doch die Hausschuhpflicht für jeden Bewohner und Besucher ist nur der erste Schritt: Wer das Bad betreten möchte, ziehe vorher seine Hausschuhe aus und schlüpfe in eines der beiden Gummischlappenpaare, die auf einem kleinen Fußabstreifer vor dem Bad stehen. Vor der Küche gibt es wieder eine „Gummischlappenschleuse“, was zum Beispiel beim Tisch Abräumen ganz schön lästig sein kann: Man bilde eine Menschenkette um die Gummischlappengrenze zu überwinden. Beide „Schleusen“ haben durchaus ihren Grund: der Fußboden im Bad wird beim Duschen nass, von diesem Übel soll der Parkettboden im Wohnzimmer verschont bleiben. Auch das Speiseöl, das bei turbulenter Wok-Aktivität auf dem Küchenboden landet, sollte nicht weiter durch die Wohnung verteilt werden. Nun gut: Hausschuhe und zwei Gummischlappenschleusen. Nun sollte die Wohnung doch eigentlich…? Weit gefehlt. Jeden Morgen kehrt und wischt meine „große Schwester“ die Böden in der ganzen Wohnung, putzt Hausschuhe und Gummischlappen, um bei Gelegenheit die ganze Prozedur nachmittags zu wiederholen. Und das alles nur, damit der „Ehemann der großen Schwester“ wenn er spät abends nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt in aller Ruhe – den Besen aus der Ecke holen kann um noch einmal ordentlich zu kehren. Not right, not wrong, just different!
15
Oktober
Das Nachthemdenparadies
Es war einer von diesen Abenden, den wohl jeder Austauschschüler kennt: Nach einem langen Tag mit viel Hören und Sprechen in der noch so anstrengenden fremden Sprache brummt der Schädel und ich habe es aufgegeben dem Tischgespräch zu folgen. Wie durch einen breiten Wasserfall dringt nur noch der eine oder Wortfetzen zu mir durch.
„Schwimmbad…nicht teuer…Essen…angenehm…Übernachten“. Übernachten? Im Schwimmbad? Ich bin mir sicher, dass ich da wieder einmal etwas falsch verstanden habe. Aber nein, diesmal habe ich richtig gehört. In diesem Schwimmbad kann man auch übernachten, und das nicht irgendwann, sondern heute Abend. Jetzt? Ins Schwimmbad? Mir war an diesem Abend eher nach einer Tasse Tee, einem guten Buch und viel, viel Schlaf. Eine Übernachtung in einem chinesischen Schwimmbad hört sich dagegen nicht allzu gemütlich an. Jiejie war dagegen vor lauter Begeisterung ganz aufgeregt: „Kuai, kuai, kuai!“ Schnell, schnell, packt eure Sachen…! Neugierig geworden tapse ich in mein Zimmer, werfe Shampoo und Duschgel, Handtuch, einen Bikini und ein Shirt zum Übernachten auf das Bett. Jiejie protestiert lauthals: Erstens: Bikini kommt nicht in Frage. Zweitens: den ganzen anderen Krempel brauchst du nicht. Gibt es alles dort. Badeanzug und Badekappe, mehr brauchst du nicht. Wirklich? Aber wir übernachten doch…? Ja, wirklich, du brauchst nicht mehr und jetzt komm endlich! Wir fahren gleich und…Sie stürmt aus meinem Zimmer und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sie ist einfach zu putzig wenn sie versucht mich anzutreiben. Und schon ist sie wieder da: „Ai rouya, ni de ersai!“ Kichernd imitiert sie ein grunzendes Schnarchen. Ah ja, meine Ohrstöpsel sollte ich wohl wirklich besser mitnehmen. Während der Fahrt bemühe ich mich die Bilder von westlichen Wellness-Landschaften aus meinem Kopf zu verdrängen, um später nicht zu sehr enttäuscht zu sein. Doch als ich wenig später aus der Umkleide komme bin ich positiv überrascht. Vor mir erstreckt sich ein großer Raum mit Duschen, Fußbecken, Massageliegen, einigen Whirlpools und verschiedenen Saunen. Die Frauen hier genießen in vollen Zügen, ein wohliges Seufzen liegt in der Luft. Jiejie drückt mir ein hübsch geblümtes Nachthemd in die Hand und lacht über meinen leicht verzweifelten Gesichtsausdruck. Mit Nachthemd und Gummischlappen gewappnet verlassen wir den Damenflügel und wagen uns in die Schwimmhalle. Dort gibt es nicht nur Männer in schwarz-weißen Nachthemden, sondern auch ein Fitnessstudio, Billardtische, Tischtennisplatten, Hollywoodschaukeln, Papageien zum Füttern, Spieltische, eine Bar, ein feines Restaurant mit den in China üblichen Privaträumen. Neugierig suche ich nach unserem Schlafplatz und finde schließlich einen großen, dämmrigen Raum mit unzähligen Betten. Beim Schlafen ist Privatsphäre offensichtlich weniger wichtig als beim Essen. Dann passiert mir etwas, wovon ich geglaubt hatte ich würde es das ganze über Jahr nicht erleben: in meiner Nachthemdenuniform werde ich tatsächlich für eine Chinesin gehalten. Erst als er merkt, dass ich sein unfreundliches Brummeln nicht verstanden habe entdeckt der Angestellte, dass sich tatsächlich eine Westlerin hierher verirrt hat. Überrascht prustet er los, kichert vergnügt vor sich hin. Eine Westlerin! Hier! Nach ausgiebigem Schwimmen, Saunen, Duschen und Dösen im Whirlpool fühle ich mich rundum wohl und sehr müde. Den Gedanken hier zu übernachten finde ich auf einmal ganz großartig. Anstatt mich jetzt umziehen und in ein kaltes Auto steigen zu müssen, nehme ich mir ein frisches Nachthemd und gehe nach oben in den Schlafraum. Der Geräuschpegel hier ist tatsächlich beachtlich, aber dank meinen Ohrstöpseln schlafe ich ganz wunderbar. Jiejie ist halt doch die Beste. Und selten war „eine fremde Kultur erleben“ so behaglich wohltuend und entspannend wie an diesem Abend.
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